Überflieger

„Wir wollten eine Insel kaufen und dort ein ökologisches Projekt starten.“

Sechs Jahre in Australien- einige Fragen an Frau Kastner

Bereits vor einigen Jahren verließ unsere Physik- und Chemielehrerin Frau Kastner für sechs Jahre unsere Schule um auf der anderen Seite der Welt in Australien zu leben. Wir hatten nun die Gelegenheit, ihr zu dieser sogenannten Sabbatzeit einige Fragen zu stellen.

Wie oft darf man als Lehrer überhaupt weggehen und für wie lange? Gibt es weitere Regeln für das Sabbatjahr?

Ich bin nicht verbeamtet, die meisten Lehrer*innen sind dies, deshalb bin ich nicht so sicher, ob das für alle gilt, ich glaube aber schon. Insgesamt darf die Summe aller als Sabbatzeit genommen Zeiten 6 Jahre nicht überschreiten. Die Schulleitung und Schulbehörde müssen jeweils einwilligen. Man muss einen Grund dafür angeben, der anerkannt wird.

Ihre schulfreien Jahre haben Sie in Australien verbracht. Können Sie uns mehr darüber erzählen? Was haben Sie dort gemacht?

Mein Mann ist deutscher Zimmerermeister und wir haben zusammen als Selbstständige in Australien im Bausektor gearbeitet. Wir haben zusammen ein Öko-Vorzeige-Haus gebaut, in dem wir nach Fertigstellung (nach ca. 1,5 Jahren) gelebt haben. Wir sind mit Besuch immer durch das Land gereist und haben einmal in Neuseeland Urlaub gemacht.

Die high school vor Ort wollte mich gerne als Lehrerin anwerben. Ich habe versucht den recht schwierigen Sprachtest dafür zu bestehen. Ich bin zweimal sehr knapp an den Punkten gescheitert, dann hatte ich keine Lust mehr und habe mich in die Bauarbeiten gestürzt.

Warum haben Sie sich entschieden, Ihre freien Jahre ausgerechnet in Australien zu verbringen? War das schon immer ein Traum von Ihnen?

Tatsächlich wollte ich schon als ich 30 Jahre alt war mit zwei Freunden nach Australien auswandern. Meine Freundin ist in Australien geboren und hat dort ihre ersten sieben Lebensjahre verbracht. Sie wollte gerne in ihre Heimat zurückkehren. Ich wollte immer in Afrika leben, aber eine lange Reise durch das Land hat mir gezeigt, dass es schwierig ist, aus der Sonderrolle als 'Weiße' herauszukommen. Deshalb habe ich diese Idee verworfen, aber Australien bietet viel Vergleichbares wie Afrika – dachte ich, deshalb war ich begeistert. Wir wollten eine Insel kaufen und dort ein ökologisches Projekt gründen. Es stand, meine ich, in Zeitungen, dass in Australien viele Inseln günstig zu kaufen sind. Aber als wir dort hinfuhren hat sich das alles als Fehlmeldung erwiesen.

Ich hatte mich in der Zeit gründlich über die Geschichte Australiens und all die Gräueltaten der weißen Einwanderer gegenüber den Ureinwohner*innen und dem Land informiert und war so entsetzt, dass ich dort nicht als Weiße leben wollte. Mit dem Entschluss im Rucksack, hier nicht einwandern zu wollen, habe ich das Land und seine Natur mit anderen Augen – denen einer Touristin - angucken  können. Ich war offen für seine Schönheit und habe nicht nur das Schlechte gesehen. Meine Freunde sind nach 6 Wochen abgereist und ich bin den Rest meiner 6 Monate in Australien alleine weitergereist und habe das Land und seine Natur lieben gelernt. Ich war schon immer im Umweltsektor engagiert und beschloss, dass der Rückflug mein letzter Flug sein sollte. Wir starteten dann ein Selbstversorgungshof-Projekt bei Dahlenburg (25km östlich von Lüneburg).

2004 bin ich dann aber mit meinem Traummann zusammengekommen, der gerade nach langem Warten nach Australien ausgewandert war. Ich bin ihm gefolgt, um ihn dabei zu unterstützen, seinen Lebenstraum zu verwirklichen und mit ihm zusammen ein Leben dort aufzubauen. Dabei habe ich dann ein großes Stücke meiner Lebensvorsätze aufgegeben, was mich im Inneren durchaus immer beschäftigt und bewegt hat.

Wären Sie gerne noch länger weggeblieben?

Wenn sich die geschäftlichen Umstände anders entwickelt hätten, wäre ich dort geblieben und hätte meinen Vertrag mit der Schulbehörde nach 6 Jahren Auszeit gekündigt. Aber dem war nicht so und ich war sehr froh wieder meinen Platz am BRG einnehmen zu dürfen. Ich bereue das Zurückkehren nicht.

Sie schrieben uns schon, die Jahre seien für Sie eher aufregend gewesen. Haben Sie sich bei Ihrer Rückkehr also eher erschöpft als erholt gefühlt?

Wir haben einen riesigen Auftrag von einem Investor aus Melbourne in der Gegend, wo wir wohnten (Berge – Skigebiet) bekommen. Es stellte sich heraus, dass er ein Riesenbetrüger war und unsere Unkenntnis von Land und Gesetzen ausgenutzt hat. Wir endeten vor Gericht und hatten einen langjährigen Prozess zu führen. Ich musste uns z.T. selbst verteidigen und musste mich deshalb in die australische Juristerei und juristische englische Sprache einarbeiten. Das war sehr anstrengend und nervenaufreibend. Schließlich musste ich leider feststellen, dass die australische Gesetzgebung solchen Betrügern genügend Schlupflöcher gibt und es keine wirkliche Gerechtigkeit juristisch verankert gibt. Das war sehr enttäuschend, da ich dachte, es lohne sich auch für die anderen Betroffenen mitzukämpfen. Das Resultat war nur, dass wir sehr viel verloren haben, was wir uns aufgebaut hatten. Deshalb sind wir zurückgekommen. Entsprechend erschöpft war ich auch.   

Wenn man solch eine Zeit noch einmal in Anspruch nehmen könnte, würden Sie es dann noch einmal machen und zum Beispiel erneut nach Australien gehen?

Wenn ich das nochmals machen könnte, würde ich meine Zeit hier auf dem Hof verbringen und nicht ins Ausland gehen. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich am Besten im eigenen Land, wo ich Sprache, Menschen, Gesetze und Gepflogenheiten gut kenne, lebe und agiere. Aus ökologischer Sicht würde ich eh nicht mehr fliegen, denn meine  CO2-Bilanz habe ich in der Zeit sehr belastet. Meine Australienflüge werde ich zwar nicht mehr ausgleichen können, aber ich versuche mein Bestes. Ich wollte mehrfach per Land oder Seeweg nach Australien reisen, das hat sich jeweils in der Zeit als nicht machbar ergeben. Leider. Wir haben sehr gute Freunde dort in Australien gewonnen. Wir telefonieren ab und zu, das muss reichen.

Was für ein Gefühl war das, nach so langer Zeit in solch einem ganz anderen Land und ganz ohne Schule plötzlich wieder da zu sein?

Das war schon sehr komisch, ich habe mit großen Augen das Land und die Menschen genossen und aufgesogen. Das hielt ein gutes Jahr an, bis ich langsam wieder in einen Art Trott kam und auch wieder negative Dinge entdeckt habe. Ich habe gelernt, dass wir es hier im Vergleich zu anderen Ländern sehr gut haben und wir uns dessen auch sehr bewusst sein sollten. So ist z.B. auch unsere viel gehasste Bürokratie sehr gut geregelt und durchdacht im Vergleich zu Australiens, ich weiß das jetzt zu schätzen. Und unsere Natur ist wunderschön und vielfältig, wenn wir genau hingucken und auch die Städte sind einfach wunderschön, im Vergleich zu Australiens, sie haben halt eine alte Geschichte. Das habe ich alles sehr genossen und genieße es auch immer noch!

Was war das Schönste an der schulfreien Zeit?

Am Schönsten fand ich, etwas anderes zu machen, aus dem Trott herauszukommen und neue Menschen und Landschaften kennen zu lernen und zu sehen, dass wir mit eigenen Händen so ein schönes Haus bauen konnten.

Und was haben Sie vermisst?

Meine Freunde und Familie, meine Landessprache, da ich die Feinheiten der australischen Sprache bis zum Schluss nicht wirklich verstanden habe und auch nicht ausdrücken konnte. Ich habe deshalb höchste Achtung vor allen Menschen, die ihr Land verlassen müssen! Ich hatte das Glück, dass ich einfach zurück auf unseren Hof kehren konnte und meine alte Tätigkeit friedlich und einfach wieder aufnehmen konnte, das haben die Migrant*innen i.d.R. nicht.

Hatten Sie nach Ihrer Rückkehr das Gefühl, hier an der Schule, aber auch im Allgemeinen etwas verpasst zu haben?

Nein, ich bin glücklicher Weise gerade gegangen, als in Niedersachsen das 12-jähriges Abi eingeführt wurde und kam zurück, als der Lehrplan wieder auf G9 umgestellt wurde. Von daher war es eine super Zeitspanne für diese Auszeit.

Ansonsten hat sich unser Hofprojekt in eine Richtung entwickelt, die wir jetzt versuchen wieder zu ändern. Ich war eine tragende Figur in dem Projekt, mein Weggang hat einiges gesprengt: Weitere wichtige Personen haben den Hof auch verlassen und die wenigen Verbliebenen hatten Not, den Hof zu halten und waren entsprechend erschöpft. Es gab viel zu sanieren und wir müssen uns einig werden, wie wir den Hof weiterbetreiben wollen.

Ich würde allen empfehlen eine oder mehrere Auszeiten aus dem gewählten Beruf zu nehmen, um anderes und sich selbst anders zu erleben und das eigene Leben und die eigene Einstellung zu überdenken. Ich bin trotz allem sehr dankbar für diese Zeit und die Erfahrungen, die wir /ich gemacht haben.

{von Vibeke Ratjen}

© Alle Rechte vorbehalten